Wirtschaftsausschuss im März 2015: Mietspiegel und Haushaltsdebatte
(von Christian Reinboth)
Mit dem heutigen Artikel wollen wir im BLACK.blog Wernigerode eine Idee aus dem vergangenen Jahr aufgreifen – die Einstellung von regelmäßigen Berichten aus den öffentlichen (und selbstverständlich ausschließlich aus diesen) Beratungsteilen der verschiedenen Ausschüsse des Wernigeröder Stadtrates. Beginnen möchte ich dies mit einem Kurzbericht von der gestrigen März-Sitzung des Wirtschafts- und Liegenschaftsausschusses, dem ich seit 2009 als sogenannter sachkundiger Einwohner angehöre. Im öffentlichen Teil wurden hier – in einer äußerst gut besuchten gemeinsamen Sitzung mit dem Sozialausschuss – insbesondere zwei Themen von allgemeinem Interesse diskutiert: Die Vorlage der Fraktion Grüne / Piraten zur Einführung eines qualifizierten Mietspiegels für Wernigerode sowie der Haushaltsplan der Stadt Wernigerode für das Jahr 2015, über den der Stadtrat am 26.03. endgültig beschließen soll.

Wie hier im Blog bereits im Januar vermutet wurde, stieß der Vorschlag der Grünen und Piraten, einen qualifizierten Mietspiegel für Wernigerode einzuführen, auf nur wenig Zustimmung. Sabine Wetzel und Denis Mau begründeten ihren Vorstoß insbesondere mit drei Argumenten:
1) Der Wunsch nach einem qualifizierten Mietspiegel sei von mehreren Bürgerinnen und Bürgern an ihre Fraktion herangetragen worden, die Angst vor steigenden Mieten hätten. Als Stadträte fühlten sie sich verpflichtet, diesem Anliegen nachzukommen und eine Diskussion über die Entwicklung der Mietpreise in Wernigerode anzustoßen.
2) Ein qualifizierter Mietspiegel sorge für Transparenz auf dem Wernigeröder Mietmarkt und verhindere, dass Mieterinnen und Mieter mit überhöhten und unbegründeten Mietforderungen konfrontiert würden.
3) Ein qualifizierter Mietspiegel könne bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Mieter und Vermieter durch den Mieter anstelle eines Gutachtens herangezogen werden. Dies ermögliche in vielen Fällen erst die Aufnahme einer Klage, da der Mieter ein eigenes Gutachten oft gar nicht bezahlen könne. Die Existenz eines Mietspiels trage damit dazu bei, die Schieflage im Machtgefälle zwischen Mieter und Vermieter abzumildern.
Nach der Einführung in den Antrag hatten die durch den Sozialausschuss eingeladenen sachverständigen Vertreterinnen und Vertreter des Mietervereins, der Eigentümergemeinschaft Haus & Grund sowie der beiden größten Wernigeröder Wohnungsbaugesellschaften WWG und GWW die Möglichkeit einer Antragsbewertung. Durchaus überraschend lehnten alle vier Befragten den Vorstoß der Grünen und Piraten deutlich ab:
1) Auch wenn der Deutsche Mieterbund den Mietspiegel grundsätzlich durchaus positiv bewertet, gab dessen Vertreterin zu bedenken, dass im Bund derzeit über die Weiterentwicklung sowohl des Mietspiegels als auch der ortsüblichen Vergleichsmiete als Instrumente zur rechtssicheren Festlegung von Mietpreisen diskutiert werde. Wenn Wernigerode einen Mietspiegel wolle, sei angesichts dieser Diskussion sowie der hohen Kosten (rund 40.000 Euro pro Jahr) anzuraten, dessen Einführung noch um einige Jahre zu verschieben, um bis dahin erst einmal abzuwarten, wie sich die Zukunft von Mietspiegel und Vergleichsmiete darstelle.
2) Die Vertreterinnen von WWG, GWW und Haus & Grund wiesen geschlossen darauf hin, dass ein Mietspiegel in Wernigerode für die privaten Vermieter schnell zu einem Instrument für bis dahin nie gekannte Mieterhöhungen werden könne. Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung sei die Einführung eines qualifizierten Mietspiegels keine sozialpolitische, sondern eine wirtschaftspolitische Maßnahme, die weder der Förderung von sozialem Wohnungsbau noch der absoluten Verhinderung von Mieterhöhungen diene.
3) Dass sowohl die WWG als auch die GWW in den vergangenen Jahren ihre Mieten nicht erhöht hätten, habe zu einer vergleichsweisen Stabilität bei der Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete geführt. Dieser Effekt sei mit der Einführung eines qualifizierten Mietspiegels dahin, da hier lediglich die Neuvermietungen der letzten vier Jahre berücksichtigt würden. Dies habe zur Folge, dass viele ältere (und günstigere) Mietverträge keinen Eingang in den Mietspiegel fänden, während beispielsweise die durch die WWG in der Schreiberstraße gerade neu entstehenden, modernen Wohnblöcke mit einer avisierten Kaltmiete von 7,50 Euro pro Quadratmeter voll zu berücksichtigen wären. Das durch den Mietspiegel für Wernigerode geschaffene Mietniveau würde sich also im Verhältnis zur ortsüblichen Vergleichsmiete nach oben verschieben, wodurch gerade sozial schwache Mieter benachteiligt würden.
Angesichts dieser Ausführungen sprachen sich die Stadträtinnen und Stadträte der Fraktionen CDU / Haus & Grund, SPD und Linke im Anschluss an die Aussprache geschlossen gegen die Einführung eines qualifizierten Mietspiegels für Wernigerode aus und schlossen sich damit der Bewertung des Antrags durch die Stadtverwaltung an. Eine Änderungsvorlage der SPD, mit der der Stadtverwaltung ein Prüfauftrag zu den Folgen eines Mietspiegels erteilt werden sollte, wurde angesichts der klaren Mehrheiten durch die Fraktion zurückgezogen. Einzig die Fraktion Grüne / Piraten stimmte weiterhin für die Einführung eines Mietspiegels – insofern ein wenig paradox, als dass sie damit der Empfehlung aller vier Sachverständigen widersprachen, obwohl sie selbst bei der Einführung in den Antrag noch darum ersucht hatten, dass alle vier auf jeden Fall vom Ausschuss angehört werden müssten. Am Ende stimmt man dann aber eben doch immer – auch entgegen aller Expertenmeinungen – für den eigenen Antrag – ein Verhalten, dass es bei den anderen Fraktionen ja ebenso gibt, dessen Sinnhaftigkeit aber dennoch zu hinterfragen ist. Gerade im Hinblick auf den frischen Wind, den die Piraten in Kommunalpolitik bringen wollten, halte ich es für betrüblich, dass man hier selbst extra Sachverständige vorlädt, deren einstimmige Empfehlung dann aber zugunsten der eigenen Antragslinie ignoriert. Eine gute Gelegenheit, alternativ statt „etabliert“ zu handeln, wurde damit leider verpasst.

Das zweite große Thema des öffentlichen Teils war der Haushaltsplan für das Jahr 2015. Hierzu wird insbesondere im Rahmen der Stadtratsdebatte noch im Detail zu berichten sein, weshalb ich mich an dieser Stelle auf die Feststellung beschränken möchte, dass alle drei Änderungswünsche der Fraktion CDU / Haus & Grund – die Rückführung der Gewerbesteuer um weitere 10 Prozentpunkte, die Streichung der Fußgängerpromenade in Schierke sowie die Einführung eines Sperrvermerks für die rund 1,1 Millionen Euro an Planungskosten für das Winterberg-Projekt – entweder bereits durch die Verwaltung als Einreicher übernommen wurden oder ein Mehrheit fanden. Als CDU kommen wir damit unseren Versprechen aus der Kommunalwahl 2014 nach und treten für die Rückführung des Gewerbesteuer-Hebesatzes auf das alte Niveau von 400 Punkten sowie auch für die weitere Entwicklung von Schierke mit wirtschaftlichem Augenmaß und unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Stadt ein.
Parteiübergreifend kritisiert wurde in diesem Zusammenhang übrigens die mangelnde Abstimmung zwischen Stadtverwaltung und Stadtrat bei der Ortsentwicklung von Schierke. Dass beispielsweise der eigens ins Leben gerufene zeitweilige Schierke-Ausschuss seit Oktober des vergangenen Jahres nicht mehr getagt hat, weshalb die Diskussion über die Angemessenheit und Verwendung der besagten 1,1 Millionen Euro Planungskosten daher nun über den Haushaltsplan, anstatt im dafür zuständigen Fachausschuss geführt werden musste, stieß auf allgemeines Missfallen. Angesichts dessen kündigte die Verwaltung an, auf der nächsten Sitzung des Schierke-Ausschusses am 17.03. umfassend über den aktuellen Sachstand im Hinblick auf Planungskosten, Förderanträge und Gespräche mit möglichen Privatinvestoren informieren zu wollen. Für alle an der Ortsentwicklung Interessierten dürfte sich der Besuch der Ausschusssitzung diesmal also ganz besonders lohnen.
11. März 2015 um 18:04
Schön zusammengefasst. Es ist mir auch unverständlich, wie das Argument des Verbraucherschutzes so plakativ zur Schau getragen wird und dann die Empfehlung mit drohender steigender Preisspirale einfach ignoriert wurde.
Da haben Mau und Wetzel wohl leider nicht zugehört.
15. März 2015 um 13:11
Ich bitte zunächst um eine Korrektur im Betrag von Herrn Reinboth: Herr Mau hat in der o.g. Sitzung nicht abgestimmt, da er weder Mitglied im Sozial- noch im Wirtschaftausschuss ist. Abgestimmt haben Frau Wetzel und Herr Prof. Zimmermann.
Und.. ich würde für beide Vertreter der Fraktion B90/Grüne/Piraten schon in Anspruch nehmen wollen, aufmerksam zugehört zu haben, aber von den vorgebrachten Argumenten nicht überzeugt worden zu sein. Wenn ein Mietspiegel solche furchtbaren Auswirkungen für gerade finanziell schwächere Mieter haben soll, warum gibt es dann so viele Kommunen, die mit einem Mietspiegel arbeiten. Und haben da nicht eher diejenigen Manschetten, die mit Vermietung viel Geld verdienen? Beide großen Wohnungsunternehmen behaupten, in den letzten Jahren die Mieten nicht erhöht zu haben- auch nicht bei Neuvermietungen? Warum gab es dann vor ca. 1 1/2 jahren den Aufschrei der KoBa? Mich machen solche Allianzen von Gesellschaften der Stadt und privaten Interessen eher stutzig als sicherer im Urteil.
15. März 2015 um 13:51
@Charlotte: Im Beitrag steht ja auch nicht, dass Herr Mau im Ausschuss abgestimmt hätte, sondern dass die Fraktion Grüne / Piraten (über die zwei stimmberechtigten Mitglieder) geschlossen für den Antrag gestimmt hat, wobei ja aber auch Herr Mau nach den Ausführungen der vier Sachverständigen meiner Erinnerung nach relativ klar zu erkennen gegeben hat, dass er den Mietspiegel auch weiterhin wünscht. Sollte er demnächst also im Stadtrat dagegen stimmen, würde mich das sehr überraschen.
Zur zweiten Aussage: Ich werfe den Mitgliedern der Fraktion keinesfalls vor, nicht zugehört zu haben. Was mich allerdings irritiert ist, dass sie erst einen wirklich begrüßenswerten Vorstoß (keine Abstimmung über ein wichtiges Thema ohne ein vorheriges Anhören von Expertinnen und Experten verschiedener Seiten) unternehmen, um dann nach der Anhörung den Empfehlungen der von ihnen selbst gewünschten Experten nicht zu folgen. Die Expertengruppe war in dem Fall von der Interessenslage so bunt gemischt wie es nur irgendwie möglich war – ein Mieterschutzverein, ein Interessensverein privater Wohnungsvermieter, eine private Wohnungsbaugesellschaft, eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft und dann noch das Bauamt der Stadtverwaltung – trotzdem bestand große Einigkeit darin, über alle Interessensgruppen hinweg eine Nicht-Empfehlung auszusprechen. Wenn das die eigene Zustimmung nicht mal ansatzweise ins Wanken bringt – warum dann überhaupt Experten einfordern?
Zur Frage, warum andere Städte mit einem Mietspiegel arbeiten: Wie ein Mietspiegel wirkt, hängt vom bestehenden Mietpreisniveau bei dessen Einführung ab. Das aktuelle Beispiel München zeigt, dass ein Mietspiegel sehr wohl auch zu erheblichen Mietsteigerungen führen kann:
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/wohnen-in-muenchen-stadtrat-will-auswirkungen-des-mietspiegels-begrenzen-1.2390510
Bezüglich Wernigerode bestand bei allen fünf befragten Expertinnen und Experten Einigkeit, dass eine solche Steigerung auch hier zu erwarten wäre. Gibt es irgendeinen fachlichen Gund, dieser kollektiven Einschätzung zu widersprechen?
15. März 2015 um 21:21
Aber es gibt auch andere Erfahrungen: http://erfurt.thueringer-allgemeine.de/documents/12932/698072/Mietspiegel+2014+Erfurt/ed4672cf-9632-4402-bcdf-f9bcd3d7e9a3
Leider war von der KoBa kein Vertreter da, hier sind sicher die meisten Meinungen Betroffener zu hören. Und… warum gibt es eine einhellige Meinung aller Experten? Vielleicht, weil es ums Geld verdienen geht?
15. März 2015 um 23:25
@Charlotte: Richtig – es gibt Städte, in denen der Mietspiegel die Mietpreise stabilisiert hat und es gibt Städte, in denen der Mietspiegel dafür gesorgt hat, dass die Mietpreise drastisch angestiegen sind. Die entscheidende Frage ist ja auch nicht, ob Mietspiegel immer nur positiv oder immer nur negativ wirken, sondern vielmehr, welche Art von Stadt Wernigerode ist. Die beste Chance, diese Frage zu beantworten, liegt sicher in der Befragung von Experten – und eben die waren sich ja einig, dass in Wernigerode eher mit einem Anstieg zu rechnen sei (und konnten das auch durchaus gut begründen). Ob die KoBa etwas anderes sagen würde, wage ich zu bezweifeln – es wäre ja aber möglich gewesen, auch einen KoBa-Vertreter einzuladen. Warum wurde das denn nicht gemacht?
Zum „Geld verdienen“-Argument: Das höre ich oft – längst nicht nur im Zusammenhang mit dem Mietspiegel (Pharmaforschung, Gentechnik, Klimawandel etc. pp.) – eigentlich ist das Argument als solches aber unfair. Wer die Meinung von Expertinnen und Experten berücksichtigen möchte, kommt in den meisten Fällen gar nicht umhin, mit Menschen zu sprechen, die in dem entsprechenden Themenbereich ihr Geld verdienen – denn nur die können es sich leisten, sich jahrelang mit einem speziellen Thema zu befassen und dadurch überhaupt erst zu Experten zu werden.
19. März 2015 um 0:33
Ich kann nur für mich als Mieter und gleichzeitig Vermieter sprechen:
In vielen Mietverträgen sind Klauseln, da standardisiert, die eine zweijährliche Anpassung von laufenden Verträgen in Anpassung an den lokalen Mietspiegel ermöglichen. Dies wäre bei existierenden Verträgen ein probates Mittel um auch ohne Sanierung oder Investitionen in energetische Verbesserungen eine Erhöhung der Nettomiete zu erzwingen. Sollten also die vielen Privatvermieter dort draussen durch den Mietspiegel ein legitimes Werkzeug zur Anpassung erhalten, werden wir eine Aufwärtsspirale des Mietpreises spüren und zwar erheblich.
Die Spirale wird durch einen weiteren Fakt beschleunigt: Die Erfassung von Neuvermietungen der letzten vier Jahre würde existierende Verträge ausschliessen und dadurch den Durchschnitt der gezahlten Nettomiete deutlich über das tatsächliche Niveau heben. Da müsste dann auch die KoBa schwer durchatmen, denn dann wird sie gezwungen deutlich höhere Zuschüsse zu genehmigen. Alles in allem würde die Wirkung den Verbraucher eher schädigen als nutzen.
Ich bin gegen den Mietspiegel, denn die geschaffenen Neubauten haben ein deutlich höheres Mietniveau als der Bestand. Erhöhungen im zweistelligen Prozentbereich bei Bestandsbauten wären absehbar.